Darf ich vorstellen? – Dr. Brender

Darf ich vorstellen? – Dr. Brender
Von Arne Niederhut (Bochum) aus DZRP Nr. 94, April 2011
 

Seit dem Erscheinen der beiden Artikel über Dr. Brender in den Ausgaben 81 und 82 (2004 / 2005) der DZRP ist die Frage zur Person Dr. Brender und der Funktion seiner Organisation in Berlin noch immer nicht abschließend beantwortet. In diesem Artikel will ich versuchen, etwas Licht in das Dunkel zu bringen.

Stanislau, österreichisches Ost-Galizien.
Israel Meir (genannt Max) Brender wurde im Jahre 1888 in Stanislau als Sohn eines wahrscheinlich wohlhabenden Kaufmanns geboren. Die Bevölkerung der heute in der Ukraine gelegenen Stadt (seit 1962 Iwano-Frankiwsk) setzte sich in der K.u.K. Zeit zu jeweils ca. einem Drittel aus Polen und Juden zusammen. Die drittgrößte Bevölkerungsgruppe bildeten die Ukrainer, der Rest der Einwohner kam aus allen Ecken der Donaumonarchie. Ab etwa dem dritten Lebensjahr besuchte Max Brender den Cheder, eine Art jüdische Gemeinde-Grundschule, in der die Kinder das hebräische Alphabet und die hebräische Sprache erlernen. Mit Erreichen des Schulalters besuchte er die Volksschule und im Anschluss daran ein Gymnasium. Es gibt Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass es sich um das polnische Gymnasium Nr. 2 in Stanislau gehandelt haben könnte.

Krakau
Um 1909 begann Brender das Studium der Rechtswissenschaften an der renommierten Jagiellonen-Universität in Krakau. Während der Studienzeit erschienen zwei Bücher Brenders in jiddischer Sprache beim Krakauer Verlag Schulamit. Die Liedersammlung „Im Sturm vom Leben“ und der Prosa Band „Sommernacht“ (Zumernekht). Letzterer ist Dank der Steven Spielberg Digital Yiddish Library online verfügbar. Nach drei Examensprüfungen im März, Juli und November 1913 erlangte Brender am 2. Dezember 1913 die Doktorwürde der Rechtswissenschaften. Nach biographischen Quellen soll Dr. Brender dann in Galizien und Wien als Anwalt tätig gewesen sein. Der belegten zeitlichen Abfolge nach kann diese Tätigkeit aber keinen großen Umfang gehabt haben.                                               
Abb. 1 Max Brender 1912 in Krakau
Kopenhagen
Bereits 1915 übernahm Max Brender in Kopenhagen die Redaktion der jiddischen Zeitschrift „Das Wochenblatt“. Später erwarb er auch die kleine Druckerei der Zeitschrift. Die Tätigkeit in Kopenhagen dauerte bis 1921 an und endete mit Brenders Umzug nach Berlin, welcher dort das Büro einer jüdischen Hilfsorganisation für Pogrom-Opfer in der Ukraine übernahm. Auch das Erscheinen des „Wochenblatts“ wurde mit Brenders Umzug eingestellt. Die letzte Ausgabe erschien am 4. März 1921.

Berlin
Der früheste gemeldete Brender-Beleg datiert ebenfalls auf den 4. März 1921, deshalb kann man wohl davon ausgehen, dass Dr. Brender seine Tätigkeit in Berlin umgehend aufnahm. Die Aufgaben des Skandinavisch-Jüdischen Hilfskomitees bleiben jedoch weiterhin unbestimmt. Die in Heft 82 der DZRP geäußerte Vermutung, dass eine Aufgabe die Weiterleitung von Post gewesen sein könnte, hat jedoch weitere Unterstützung gefunden. Es bestand von 1920 bis zum Postvertrag zwischen der UdSSR und Rumänien von 1924 eine Postsperre (Informationen Alexander Epstein). Zuerst für Post zwischen der Ukraine und dem während des Bürgerkrieges von Rumänien besetzten Bessarabien, ab Dezember 1922, mit Gründung der UdSSR, soll dieses Verbot weiterhin für die Ukrainische SSR gegolten haben. Ungeklärt bleibt dabei der Sinn von Brender-Belegen aus anderen Teilen der UdSSR. Bei Cherrystone wurde in der Mai 2006 Auktion ein Brender-Beleg vom Januar 1923 aus Aserbaidschan verkauft (Zuschlag 475$) sowie im Mai 2007 ein weiterer vom August 1922 mit Frankatur der Bergrepublik aus Wladikawkas (Zuschlag 4250$).
Ein ähnlicher Weiterleitungsdienst war in Versailles ansässig, von diesem sind weitergeleitete Belege bekannt. Trotz intensiver Bemühungen ist es mir jedoch nicht gelungen, einen weitergeleiteten Brender-Brief zu finden. Weder bei den angesprochenen Rumäniensammlern noch bei den Infla-Sammlern ist ein Beleg mit deutscher Frankatur, Adressat in Bessarabien und Absender in der Ukraine aufgefallen.
Das Hilfskomitee existierte auf jeden Fall bereits vor der Postsperre. In der Bibliographie der jiddischen Publikationen in Dänemark von Morten Thing (Universität Roskilde) findet sich folgender Titel, der in Brenders Wochenblatt-Verlag erschienen ist: „Barikht fun Kopenhagener hilfskomitet far di milkhomeh-gelitene yuden. Far der tsayt fun’m 1-ten februar 1919 biz’n 30 yuni 1920, print „Dos vokhenblat“, 38 p., Cph. 1920.“ (Bericht des Kopenhagener Hilfskomitees für die kriegsgeschädigten Juden für die Zeit vom 1.2.1919 bis zum 30.6.1920).
Auffällig ist auch, dass Dr. Brender sich nach dem Ende der Postsperre wieder als Zeitschriften-Herausgeber betätigte. Im Mai 1924 erschien die erste Ausgabe seiner „Jiddischen Illustrierten Zeitung“ beim Verlag von Hermann Goldberg. Es handelte sich dabei um eine illustrierte Unterhaltungszeitschrift für die ganze Familie. Das Blatt erschien jeden Freitag und brachte interessanterweise in jeder Ausgabe eine Seite zu philatelistischen Themen (Abb. 2 & 3). Großer Erfolg scheint Brender mit der „Illustrierten Zeitung“ jedoch nicht vergönnt gewesen zu sein. Nach der Nummer 31 (Dezember 1924) sind keine weiteren Ausgaben bekannt.

Abb. 2 Briefmarken Tauschanzeige in der Jiddischen Illustrierten Zeitung (Heft Nr. 3).

„Briefmarken-Tausch!
Briefmarken von Deutschland, Polen, Rußland, Serbien, will ich tauschen mit Briefmarken von allen anderen Ländern, besonders von der Türkei, Palestina und den englischen Kolonien. Ich bitte um Angebote auf „Philatelist“ in der Administration der Zeitung.“

                                 Abb. 3 Wöchentliche Beitragsreihe zur Philatelie
in der Jiddischen Illustrierten Zeitung. Hier der Artikel „Wie Briefmarken gesammelt werden“ aus Heft Nr. 4 (13.6.1924). Der Beitrag ist gezeichnet AM oder AS.

Ein wesentlicher finanzieller Rückschlag scheint dabei aber nicht eingetreten zu sein, denn im Jahr 1925 erwarb Brender in Berlin-Hermsdorf das Haus Berliner Str. 47. Aus den Kurzbiogra-phien in jiddischen Publikationen geht hervor, dass Brender in der Folge als Korrespondent für amerikanische und polnische Zeitschriften in jiddischer Sprache tätig war. Als Mitbewohner führt das Berliner Adressbuch einen Jonas Brender, der wiederum in erhaltenen Schulunterlagen aus Stanislau zu finden ist. Berufsangabe für Jonas Brender ist ebenfalls Journalist. Es könnte sich dabei um einen jüngeren Bruder von Max Brender handeln. Im Winter 1927 reiste Max Brender nach Wien an das Krankenbett seiner Mutter, die zur Behandlung in der renommierten Frauenheilanstalt des Sanatoriums Löw weilte. Am 4. Dezember erlitt Brender direkt im Krankenhaus, einen Angina Pektoris-Anfall und in Folge einen Herzinfarkt, der zum sofortigen Tod im Alter von nur 39 Jahren führte (Abb. 4). Da in diesem Zeitraum keine Frau Brender als in Wien verstorben nachzuweisen ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich seine Mutter von ihrer Erkrankung erholte.Abb 4. Nachruf für Max Brender in der Jüdischen Rundschau (Berlin) vom 09.12.1927

Am 7. Dezember 1927 wurde Dr. Max Brender auf dem neuen jüdischen Teil des Zentralfriedhofs (Tor 4) in Wien beigesetzt. Als Auftraggeber für die Beerdigung ist in den Unterlagen der Friedhofsverwaltung ein Dr. Eugen Schajowitsch (Name schlecht lesbar, möglicherweise ein Rechtsanwalt?), sowie die Gattin Rachel Brender aufgeführt.
Laut Datenbank der Friedhofsverwaltung liegt Dr. Brender bis heute in Gruppe 4, Reihe 33, Grab 66. Dort ist jedoch nur ein Grabstein für einen Ernst Kohn zu finden, der dort am 30. Januar 1929 beigesetzt wurde (Abb. 5).
    Abb. 5: Das Grab von Ernst Kohn, der nach der Umbettung von Max Brender
auf dessen ehemaliger Grabstelle beigesetzt wurde.

Die Kultusgemeinde vertrat im Gegensatz dazu von Anfang an die Ansicht, dass Brender im Verlauf des Jahres 1928 exhumiert und verlegt wurde. Erst ein Besuch bei der Friedhofsverwaltung bewegte diese dazu, tatsächlich im alten Gräberbuch nachzusehen. Es zeigte sich, dass dieses einen handschriftlichen Zusatz enthält, in dem die Verlegung nach Stanislau festgehalten wird. Leider endet hier die Spur. Der jüdische Friedhof in Stanislau wurde während des Krieges verwüstet und die Lage des Grabes der Familie Brender ist heute unbekannt.

Dr. Brenders „Schatz“ – Ein mögliches Szenario als Ansatz:
Vermutlich wurden die nummerierten Eingangsumschläge als Tätigkeitsnachweis für die Spender in Dänemark aufbewahrt. Spätestens nach Brenders Tod gerieten sie vollends in Vergessenheit und blieben möglicherweise einfach im Haus Berliner Str. 47 zurück, das 1928 oder 1929 an einen Herrn Kaminski verkauft wurde. Ob dieser sich um den Haufen Briefe im Keller oder auf dem Dachboden gekümmert hat? Wie ich bereits 2005 anmerkte, halte ich dies für unwahrscheinlich, weil das Sammeln von Bele-gen vor dem 2. Weltkrieg bei weitem nicht den Stellenwert hatte wie heutzutage und die Mar-ken wohl eher abgelöst in Briefmarkenalben gelandet wären.
Wieder einmal erweist sich die Beweislage in Sachen Dr. Brender als äußerst dünn. Wie auch von Brenders Grab ist von seinem Haus in Berlin keine Spur geblieben. Heute gibt es auf der Berliner Straße in Hermsdorf noch nicht einmal mehr eine Nr. 47. Die Bewohnerin des Nachbargrundstücks konnte sich nur noch daran erinnern, dass Ihre Schwiegereltern das verfallende Nachbarhaus immer als „Kaminski-Haus“ bezeichnet hatten, bevor es in den 50er Jahren abgerissen wurde. Die spätere Bebauung des Eckgrundstücks wurde auf den Hermsdorfer Damm ausgerichtet und dort in die Hausnummernfolge eingegliedert.
Im Oktober 2008 erbrachte bei Cherrystone ein Brender-Beleg mit Zwangsspendenmarke MiNr.1 von Nowotscherkassk 12500$, im Januar 2008 ein Beleg mit Bogenteilen MiNr.158xa, darauf 10 Kehrdruckpaare mit senkrechtem Zwischensteg (Stempel von Odessa) sogar 21000$, dieser Beleg dürfte eine der größten Raritäten der Inflationszeit darstellen!
Offene Fragen
Es ist weiterhin unklar, wann und wie die Belege in den Handel gelangt sind. Der Verbleib von Brenders Frau Rachel sowie von Jonas Brender ist leider noch unbekannt. Eine Rachel Brender (geb. 1893) ist 1982 in Hollywood, Florida verstorben. Ob es sich dabei um Brenders Witwe handelt, ließ sich bis jetzt nicht ermitteln.

Literatur:
Dr. Marion Neiss; Presse im Transit – Jiddische Zeitungen und Zeitschriften in Berlin von 1919 bis 1925, Metropol Verlag, 2002
Benz/Paucker/Pulzer; Jüdisches Leben in der Weimarer Republik, Mohr Siebeck, 1998
Morten Thing; Yiddish Booklist – Yiddish Printing in Denmark, Schriftenreihe der Universitätsbibliothek Roskilde Nr. 47, 2007
Leksikon fun der Nayer Yidisher Literatur, Band 1, New York, 1956

Für ihre geschätzte Hilfe geht mein Dank an:
– Dr. Marion Neiss vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, die mir freundlicherweise die Auszüge aus  Brenders „Illustrierter Zeitschrift“ zur Verfügung stellte und mir bei Problemen mit der jiddischen Sprache zur Seite stand.
– Alexander Epstein für seine Informationen zur Postsperre.
– der Universitätsbibliothek Roskilde für das Foto von Dr. Brender, nach dem ich schon lange gesucht hatte.
– Magister Wolf-Erich Eckstein von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, der für mich auf die Suche nach Dr. Brenders verschwundener Grabstelle ging.
– Gisela Erler vom Landesarchiv Berlin
sowie folgenden Forenbenutzern, die ich hier mit ihren Onlinenamen aufführe:
– Rossica Samovar Forum: jlechtanski
– Briefmarken-Forum.com: stip2 und Michaela, die das Foto von Morten Thing von Brenders angeblichem Grab machte.
– Philaforum.de: wien13 und steppenwolf
– BDPh Forum: gerhard.heinrich, von dem die Hinweise auf die Postsperre stammen.
– forum.Ahnenforschung.net: Kasstor, der mich schlussendlich auf die richtige Spur zu Dr. Brenders Geschichte gesetzt hat.