Die Markenheftchen des Zarenreiches und der Sowjetunion 1910 – 1948

von Hans-Guenther Blach (Bubesheim
erschienen in DZRP Nr. 96, 2012)

In Markenheftchen des Zarenreiches wurden nur Werte von zwei Markenserien benutzt: die Freimarken der Wappenserie und die Marken der Gedenkserie zum 300. Jahrestag des Hauses Romanow. Dafür wurden Sechserblocks vom oberen oder unteren Blockrand aus üblichen Markenbögen herausgetrennt, was die einzelnen Heftchenblätter ergab. Dünne, unbedruckte Zwischenblätter wurden zwischen den Heftchenblättern eingelegt. Dickeres Papier in verschiedenen Farben diente als „Heftchendeckel“ und wurde vorne und hinten bedruckt. Nur in Riga wurde zusätzlich auf den Innenseiten des Deckels und auf den Zwischenblättern Werbung aufgedruckt (siehe MH13).

Alle Markenheftchen wurden in zwei Stückelungen herausgegeben, nämlich als Heftchen zu 80 Kop. (6 x 7 Kop., 6 x 3 Kop. und 18 x 1 Kop.) und zu 2 Rub. (18 x 7 Kop., 18 x 3 Kop. und 18 x 1 Kop.). Dazu kam bei jedem Heftchen ein Zuschlag von 2 Kopeken. Bis 1914 wurden Heftchen nur in den vier wichtigen Postdistrikten St. Petersburg, Moskau, Kiew und Riga zum dortigen Gebrauch produziert. Nach 1914 gab es eine Ausgabe für alle 29 Post- und Telegraphendistrikte, die in St. Petersburg / Petrograd herausgegeben wurde.

Die Auflagenzahl ist weitgehend unbekannt. Der World Postal Booklet Catalogue Russia/USSR (1988) berichtet, dass die Markenheftchen in St. Petersburg durchaus beliebt waren. Zunächst wurden 400 St. pro Woche hergestellt, was bei weitem nicht ausreichte. Die Auflage wurde dann auf 1000 pro Woche erhöht. Von den Markenheftchen mit unbedruckten Deckeln, die mit einem Gummistempel versehen wurden (oder werden sollten; MH15 und MH16, s. u.), sollen bis zum 24. Juni 1914 insgesamt 10.800 unbedruckte Markenheftchen zu 80 Kop. und 4.300 zu 200 Kop. für andere Postdistrikte bereitgestellt worden sein. Im Vergleich dazu hatten die ersten Germania-Heftchen im Deutschen Reich Auflagen von ca. 1 Mio. Stück.

Beim Thema Markenheftchen ist allerdings nicht alles verständlich. So wurden z. B. in Kiew Heftchen mit dem Deckel Typ B sowohl mit Heftchenblättern der Wappenserie (MH5 und MH6), wie auch der Romanow-Serie (MH9 und MH10) oder sogar mit einer Mischung beider Ausgaben beschickt. Hier gilt es noch zu forschen.
                                            MH 1  Vorder- und Rückseite
MH 1 1910, Oktober; 80 Kopeken Verkaufspreis, 78 Kopeken Nominale (18 x 1 Kop.;
6 x 3 Kop.; 6 x 7 Kop.). 
Wappen-Freimarkenserie (MiNr. 64, 66, 68). MH 1 ist auch mit zwei 1 Kop.-Marken auf dem Deckel bekannt (Kompensation für 2 Kop.-Zuschlag?). Beschriftung: St. Petersburg Postamt Deckel: Typ A hellgrün-gräulich, 86 x 41 mm

                                                   MH 2 Vorder- und Rückseite
MH 2 1910, Oktober; 200 Kopeken Verkaufspreis, 198 Kopeken Nominale (18 x 1 Kop.; 18 x 3 Kop.; 18 x 7 Kop.) Wappen-Freimarkenserie (MiNr. 64, 66, 68)
Beschriftung: St. Petersburg Postamt, Deckel: Typ A gelblich-braun, 86 x 41 mm

                                          MH 3  Vorder- und Rückseite
MH 3 1911, 80 Kop. Verkaufspreis, Inhalt wie MH1, Wappen-Freimarkenserie Beschriftung: Moskau Postamt Deckel: Typ A rot, 86 x 41 mm

                                                          MH 4 Vorderseite
MH 4 1911, 200 Kopeken Verkaufspreis, Inhalt wie MH2, Wappen-Freimarkenserie Beschriftung: Moskau Postamt Deckel: Typ A blau, 86 x 41 mm

                                             MH 5  Vorder- und Rückseite
MH 5 1913; 80 Kop. Verkaufspreis, Inhalt wie MH1, Wappen-Freimarkenserie Beschriftung: Kiew Post- & Telegraphenbezirk Deckel: Typ B grünlich-grau, 97 x 52 mm Kiew Heftchen mit „kleinem“ Deckel sind mir nicht bekannt, siehe dazu das MH der unabhängigen Ukraine weiter unten.

                                           MH 6 Vorder- und Rückseite
MH 6 1913; 200 Kop. Verkaufspreis, Inhalt wie MH2, Wappen-Freimarkenserie
Beschriftung: Kiew Post- & Telegraphenbezirk Deckel: Typ B bräunlich-sandfarben, 97 x 52 mm

                                               MH 7 Vorder- und Rückseite
MH 7 1913; 80 Kop. Verkaufspreis, 78 Kop. Nominale (18 x 1 Kop.; 6 x 3 Kop.; 6 x 7 Kop.) Romanow-Gedenkserie (MiNr. 79, 81, 83). Beschriftung: St. Petersburg Postamt Deckel: Typ B, a: braun, b: orangerot, 99 x 52 mm

                                           MH 8 Vorder- und Rückseite
MH 8 1913; 200 Kop. Verkaufspreis, 198 Kop. Nominale (18 x 1 Kop.; 18 x 3 Kop.; 18 x 7 Kop.) Romanow-Gedenkserie (MiNr. 79, 81, 83). Beschriftung: St. Petersburg Postamt Deckel: Typ B, grau, 99 x 52 mm

MH 9 1913; 80 Kop. Verkaufspreis, Inhalt wie MH7, Romanow-Gedenkserie Beschriftung: Kiew Postamt Deckel: Typ B, a: gräulich-grün, b: gelb-sandfarben, 97 x 52 mm

MH 10 1913; 200 Kop. Verkaufspreis, Inhalt wie MH8, Romanow-Gedenkserie Beschriftung: Kiew Postamt Deckel: Typ B, a: grau, b: gelb-sandfarben, 97 x 52 mm

MH 9 und MH 10 sind identisch bis auf Marken zu MH 5 und MH 6. Diese beiden MH sind jetzt die Kiewer Ausgabe mit den „richtigen“ Marken der Romanov-Serie. Warum hier nicht von Anfang an Romanov-Marken verwendet wurden, ist unklar. Moskauer Heftchen gibt es nicht mit Romanov-Marken, eigentlich auch seltsam. Zusammenfassend kann man sagen:
– St. Petersburg: beide Deckel, beide Markenserien,
– Moskau: nur kleiner Deckel, nur Wappenserie,
– Kiew: nur großer Deckel, beide Markenserien,
– Riga: nur großer Deckel, Romanov Serie,
– Provisorien: Handstempel oder kein Aufdruck, nur Romanov Serie.

                                           MH 11 Vorder- und Rückseite
MH 11 1914, August; 80 Kop. Verkaufspreis, Wappenserie Inhalt wie MH1 Beschriftung: Petrograd Postamt; Petrograd über durchbalktem St. Petersburg
Deckel: Typ A hellgrün gräulich, 86 x 41 mm

                                                       MH 12 Vorderseite
MH 12 1914, August; 200 Kop. Verkaufspreis, Wappenserie Inhalt wie MH2 Beschriftung: Petrograd Postamt; Petrograd über durchbalktem St. Petersburg
Deckel: Typ A gelblich braun, 86 x 41 mm

                                                               MH 13                                           MH 13 Anzeigen im Deckel
MH 13 1914; 80 Kop. Verkaufspreis, Romanow-Serie Inhalt wie MH7 Beschriftung: Riga Post- und Telegraphenamt Deckel: Anzeigen auf den Innenseiten des Deckels, ähnlich zu Typ B gelb-sandfarben, 99 x 54 mm
Zudem Anzeigen auf den Zwischenblättern von MH13 und MH14:                                  
Zwischenblätter mit Anzeigen aus MH13 und 14                                              MH 14 Vorder- und Rückseite
MH 14 1914; 200 Kop. Verkaufspreis, Romanow-Serie Inhalt wie MH8
Beschriftung: Riga Post- und Telegraphenamt Deckel: ähnlich zu Typ B grün, 99 x 54 mm, mit Anzeigen auf den Innenseiten des Deckels und auf den Zwischenblättern.
Zur Genauigkeit sei noch vermerkt, dass die Anzeigen exakt mit denen vom 80 Kopeken Heftchen (MH13) übereinstimmen.

                                                      MH 15a Vorder- und Rückseiten
MH 15a 1914; 80 Kop. Verkaufspreis, Romanow-Serie Inhalt wie MH7
Unterschiedliche Beschriftungen Deckel: Handstempel auf neutralem Deckel ohne den Namen des verkaufenden Postamts

                                                         MH 15b Vorderseiten
MH 15b 1914; 80 Kop. Verkaufspreis, Romanow-Serie Inhalt wie MH7 Unterschiedliche Beschriftungen Deckel: Handstempel auf neutralem Deckel mit dem Namen des verkaufenden Postamts: Rostov (links) und Kiew (rechts)
                                                    MH 15c Rückseite
MH 15c 1914; 80 Kop. Verkaufspreis, Romanow-Serie Inhalt wie MH7
Keine Beschriftungen oder Stempel Deckel: Neutraler Deckel, rosa oder sandfarben

                                                                    MH 16c
MH 16c 1914; 200 Kop. Verkaufspreis, Romanow-Serie Inhalt wie MH8 Beschriftungen: unbekannt Deckel: Neutraler Deckel, sandfarben
Man kann hier annehmen, dass es auch MH mit Handstempeln ohne bzw. mit Nennung des Postamts (ähnlich zu MH15a und MH15b) mit einem Verkaufspreis von 200 Kop. gibt.

Markenheftchen mit Geldbriefmarken:Produziert nach Oktober 1915; Gesamtnominale 50 Rub.; Geldbriefmarken zu 10 Kop., 15 Kop. und 20 Kop. in Achterblocks vom linken Bogenrand (Mi. 107A, 108A, 109A), Heftchenblätter in den Deckel genäht, keine Heftklammer (zu dick).
Deckel: Neutraler Deckel
Ein derartiges MH ist in DZRP 94 (2011) 60-61 beschrieben, ein weiteres wurde bei Ausstellungen in Madrid und Stockholm in den 1980er Jahren gezeigt (Sammlung Boris Stenschinski, Moskau), wobei letzteres auch Geldbriefmarken zu 1 Kop. und 2 Kop. (MiNr. 110, 111) enthielt. Sinn und Zweck dieses MH sind unbekannt. Vielleicht diente es als Wechselgeld für Händler, es war aber definitiv keine Ausgabe der Postverwaltung, obwohl die darin enthaltenen Marken natürlich postgültig waren.

Generell sind alle Markenheftchen ohne bedruckte Deckel (MH15, MH16 und das Geldbriefmarken-Heftchen) als dubios einzustufen. Sie sind alle extrem fälschungsgefährdet. Unter Kriegsbedingungen gerieten viele wohlgeordnete Abläufe des zaristischen Postwesens unter die Räder, vielleicht auch die Verwendung der korrekten Heftchendeckel. Es ist aber seltsam, dass während des Krieges in Kiew neutrale Heftchendeckel zum Einsatz kamen (MH15b), nach dem Krieg in derselben Stadt aber wieder zaristische Heftchendeckel mit Trident – Überdrucken beschickt wurden (s. u.). Noch vorsichtiger sollte man bei neutralen Heftchendeckeln (MH15c und MH16c) sein. Die zaristische Postverwaltung hat auf jedem Stück Papier, das sie herausgegeben hat, den Zarenadler aufgedruckt. Somit fällt es schwer zu glauben, dass es sich hier um ein Produkt der staatlichen Postverwaltung handelt.

Unabhängige Ukraine:                                     MH Ukraine mit Dreizack-Überdruck
                                                              
MH 5 Ukraine
In der Unabhängigen Ukraine wurden zaristische Marken des Postamtes Kiew in MH5 und MH6 per Handstempel mit Dreizack – Aufdrucken von Kiew versehen. Alternativ können auch Heftchenblätter aus bereits mit Dreizack-Überdrucken versehenen Bögen herausgetrennt worden sein und in noch vorhandene zaristische Heftchendeckel eingefügt worden sein. Beides bedeutet aber, dass noch zaristische komplette Heftchen oder Heftchendeckel im Jahr 1918 in Kiew vorhanden gewesen sein müssen. Diese MH mit Dreizack-Überdrucken haben sicherlich einen spekulativen Charakter. Seichter bezeichnet sie auch als Philatelistenüberdrucke. Es sind MH mit einem Verkaufspreis zu 80 und 200 Kop. bekannt.

In der RSFSR wurden keine Markenheftchen herausgegeben.

In der UdSSR erschienen ab 1925 einige, wenige Markenheftchen.
MH 1 1925; 64 Kop. Nominale mit 8 x 8 Kop. der Freimarkenserie „Kräfte der Revolution“ (MiNr. 278 I Ax). Herausgegeben in Woronesch

                                                       Sowjetunion MH 2
MH 2 1925/26; 100 Kop. Nominale mit 10 x 3 Kop., 6 x 7 Kop. und 2 x 14 Kop. aus der Serie „20. Jahrestag der Revolution von 1905“ (MiNr. 302, 303, 304). Deckel und Beschriftung: siehe Abbildung  Größe offen: 116 x 57 mm

MH 3 1925/26; 100 Kop. Nominale mit 10 x 3 Kop., 6 x 7 Kop. und 2 x 14 Kop. der Serien „20. Jahrestag der Revolution von 1905“ und „Dekabristenaufstand“ (MiNr. 302, 303, 307). Deckel und Beschriftung: wie MH 2 Größe offen: 116 x 57 mm

                                                          Sowjetunion MH 4
MH 4 1927/28; 100 Kop. Nominale mit 4 x 2 Kop., 6 x 6 Kop. und 6 x 10 Kop., der Freimarkenserie „Kräfte der Revolution“ (MiNr. 340, 342, 345). Deckel und Beschriftung: siehe Abbildung Größe offen: 111 x 47 mm

                               MH 5 UdSSR Vorder- und Rückseite des Deckels MH 5 UdSSR Innenseite der Vorderseite des Deckels und erstes Zwischenblatt                              MH 5 UdSSR Innenseite der Rückseite des Deckels
MH 5 1948; 300 Kop. Nominale mit 4 x 10 Kop., 4 x 15 Kop., 4 x 20 Kop. und 4 x 30 Kop., der Serien „Werktätige“ und „Tag der Arbeit“ (MiNr. 679 II A, 1204, 1206, 1212). Deckel und Beschriftung: siehe Abbildung
Dieses MH mit einem Zuschlag von 20 Kop. zeigt eine zweisprachige Beschriftung in lettisch und russisch und einen Verweis „Fest des Liedes des sowjetischen Lettlands in der Stadt Riga“ und bezieht sich mit dem Jubiläum auf das erste nationale Sängerfest in Riga, Lettland im Jahre 1873. Es handelt sich sicher um eine lokale Ausgabe in Riga, die nicht im Michel verzeichnet ist. Es hat starke Ähnlichkeit mit den letzten lettischen MH aus dem Jahr 1938.

 

Literatur und Quellen:
World Postal Booklet Catalogue Russia/USSR, 1988
Eduard Fomin, Briefmarken Rußlands, München 1997
Michel Russland- und Sowjetunion-Spezialkatalog 2005/06
Verschiedene Auktionskataloge von Cherrystone